Themenabende » Megatrends, deren Chancen und Risiken
erstellt am: 09.07.2019 von: obraun
Als Jahresthema 2019 hatten die Freidenker der Region Winterthur «Megatrends» gewählt. Olivier Braun, der Referent an diesem Themenabend, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, einen Überblick zu geben über Megatrends, die von namhaften Zukunftsforschern derzeitig als sehr bedeutend eingestuft werden. Er zeigte auch Lösungsansätze auf zur Bewältigung der mit Megatrends verbundenen Gefahren. Dabei stützte er sich vor allem auf den letzten Bericht des Club of Rome (siehe Literaturverzeichnis am Schluss).
Bevölkerungsentwicklung
Es wird angenommen, dass die Bevölkerung von derzeitig 7.7 Mia. Menschen im Jahr 2100 auf 11.2 Mia. Menschen ansteigen wird. Dies stellt eine grosse Herausforderung an einen umweltverträglichen Ressourcenverbrauch dar. Der Anteil der 65+Jährigen wird weltweit von heute durchschnittlich 9% im Jahr 2100 auf 22% ansteigen. Der grosse Anstieg der 65+Jährigen wird das Sozialsystem der einzelnen Länder noch stärker belasten. Es besteht die Gefahr, dass die Politik zunehmend von den Interessen der Betagten bestimmt wird.
Gewaltige Fortschritte in der Medizin
Die höhere Lebenserwartung ist u.a. bedingt durch bedeutende medizinische Fortschritte, beispielsweise in den Bereichen Prothetik, Organtransplantation sowie Organzüchtung mittels Stammzellen, Bekämpfung schwieriger Krankheiten, Anästhesie und Schmerztherapien.
Digitalisierung – das Schlagwort unserer Zeit
Die Digitalisierung beeinflusst verschiedene Bereiche unserer Arbeitswelt und der öffentlichen Dienstleistungen. Es beginnt oft auf der technischen Ebene, d.h. mit der Beschaffung von neuer Hard- und Software. Dies kann Auswirkungen auf die Prozessebene haben, wenn beispielsweise Prozessabläufe vereinfacht werden. Es hat möglicherweise auch Auswirkungen auf die Kommunikationsebene (intern: zwischen Mitarbeitenden, extern: zu Lieferanten und Kunden), auf die Organisationsebene (neue Unternehmensstrukturen, Abbau von Hierarchien), auf die kulturelle Ebene (Wertewandel), auf die Produktebene (digitale Produkte, digitale Funktionen in Produkten) sowie auf die strategische Ebene (Geschäftsmodelle, Politik).
Big Data und Algorithmen
Täglich fallen Milliarden Gigabytes (GB) an Daten an, wenn wir Webseiten besuchen, Kurznachrichten verschicken, Mitteilungen in den sozialen Medien verfassen, Produkte bestellen, Navigationssysteme benutzen usw. Die meisten dieser Daten werden gesammelt und ausgewertet. Die Auswertung erfolgt mittels Algorithmen bzw. mittels Rechenoperationen, die in der Regel nur der Firma bekannt sind, welche diese anwendet und die daraus gewonnenen Resultate in der Regel gewinnberingend zu verkaufen versucht. Gemäss Harari wird an Programmen gearbeitet, welche die menschlichen Emotionen auf der Basis der Augenbewegung und der Gesichtsmuskulatur erfassen können. Wenn biometrische Sensoren immer mehr Daten von Menschen an Maschinen liefern, wenn Google aufgrund von Suchanfragen die Vorlieben, Ängste, Hassgefühle oder Gelüste eines Menschen kennt, wird es für Unternehmen oder staatliche Stellen ein Leichtes sein, Menschen zu kennen und zu manipulieren. Das ist eine der grossen Gefahren, die aus Big Data und Algorithmen resultieren.
Clouds – Plattformen – Vernetzung
Verschiedene grosse Unternehmen bieten Cloudlösungen an, z.B. iCloud von Apple, GoogleDrive, OneCloud von Microsoft. Am erfolgreichsten ist Amazon. 7% aller Unternehmen weltweit beziehen entsprechende Dienstleistungen von Amazon mit Amazon Web Services. Bei Clouds besteht die Gefahr, dass die darin gespeicherten Daten gehackt und missbraucht werden können.
Blockchain-Technologie, Kryptowährungen
Mittels der Blockchain-Technologie werden Transaktionen abgewickelt, die von allen Nutzern eines Blockchain-Netzwerkes eingesehen werden können. Die Nutzer selbst sind nicht identifiziert. Die einem Block angehängte Transaktion wird mithilfe von Verschlüsselungstechniken validiert und danach der Block-Kette (blockchain) hinzugefügt, einer Datenbank, in der jede Transaktion gespeichert wird. Der Validierungsaufwand wird in einer Kryptowährung beglichen. Von den Blockchain-Befürwortern wird darauf hingewiesen, dass es viele Anwendungen für diese Technologie gibt, neben dem Zahlungsverkehr beispielsweise für die Datenverwaltung im Zivilstandsamt oder im Grundbuchamt, für das Supply Chain Management oder für das Energiemanagement. Derzeitig wird die Technologie jedoch fast für den Zahlungsverkehr mit Kryptowährungen benutzt. Viele Fragen scheinen noch nicht vollständig gelöst, z.B. die Frage der Haftung bei einer missbräuchlichen Transaktion. Auch der hohe Energie- und Speicherplatzbedarf in einem Blockchain-Netzwerk mit vielen Nutzern scheinen in Zeiten eines sparsamen Ressourcenverbrauchs bedenklich.
Automatisierung, Roboterisierung
Der Pflegeroboter ROBEAR von der japanischen Firma RIKEN ist in der Lage, Patienten herumzutragen oder andere Dienstleistungen im Pflegebereich zu übernehmen. Ein anderer Roboter tröstet als kleine Robbe getarnt, Bewohner in einem Altersheim. Zweifellos werden Roboter in Zukunft immer mehr Dienstleistungen für uns Menschen übernehmen können.
Arbeitswelt 4.0
Man spricht von bisher 4 industriellen Revolutionen:
- Industrie 1.0: Erfindung der Dampfmaschine, Mechanisierung, Webmaschinen.
- Industrie 2.0: Massenproduktion, Fliessbänder, elektrische Energie
- Industrie 3.0: Automation, Computer, Elektronik
- Industrie 4.0: Digitalisierung, Internet, Clouds, Vernetzung
Die Arbeitswelt 4.0 erwartet uns also im Rahmen der 4. Industriellen Revolution. Darin übernehmen intelligente Maschinen einen Teil unserer Arbeit. Der Bedarf an höher qualifizierten Arbeitskräften steigt (lebenslanges Lernen). Die Gefahr besteht, dass viele Menschen den höheren Anforderungen nicht gewachsen sein werden. Gemäss Harari wird eine neue «nutzlose» Klasse entstehen, wenn politisch nichts dagegen unternommen wird. Wünschbar wäre, wenn für diese Menschen einfache, lohnmässig attraktive Arbeiten angeboten werden, die der Gesellschaft zugutekommen.
Urbanisierung
Im Jahr 1800 gab es 1 Stadt mit 1 Mio. Einwohner (= London). Heute gibt es 29 Megacities mit > 10 Mio. Einwohner. Hauptgründe für die Urbanisierung sind der leichtere Zugang zu Arbeit und zu Bildung, die bessere medizinische Versorgung und das Unterhaltungsangebot. Ökologische Hauptnachteile solcher Städte sind ein höherer Pro-Kopf-Verbrauch an Energie und Rohstoffen, mehr Abfall und mehr Verkehr. Der Trend geht in Richtung von sog. «smart cities». Dort messen beispielsweise Sensoren die Verkehrsdichte an verschiedenen Orten, wodurch eine smarte Verkehrsregelung möglich wird. Autonom gesteuerte Fahrzeuge ermöglichen Carsharing, was zu weniger Autos und weniger vollen Parkplätzen führt. Bezüglich der Energieversorgung wird der Verbrauch von der Energieerzeugung und den vorhandenen Energiespeicher abhängig gemacht. In der smarten Verwaltung stehen automatisierte Dienstleistungen online zur Verfügung.
Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit Megatrends
Es ist sehr schwierig, die Auswirkungen einer technologischen Revolution abzuschätzen. Rasante Entwicklungen sind derzeitig in den Bereichen künstliche Intelligenz, Biologie (Gen-Manipulation) und Nanotechnologie feststellbar. Für solche Bereiche wird vom Club of Rome gefordert,
- dass Wissenschaft und Technik stärker in der Ethik verankert werden
- dass Institutionen zu schaffen sind, die sich systematisch mit den Technikfolgen befassen und die Technik bremsen können.
Das heutige Wirtschaftssystem hat u.a. folgende Hauptprobleme:
- Der Markt wird von globalen Konzernen dominiert, während die Gesetze nur national gelten. Somit gibt es eine krasse Macht-Ungleichheit zwischen den Märkten.
- Die Finanzmärkte sind so mächtig, dass sie die Gesetzgeber auf nationaler Ebene zwingen, das Recht so weiter zu entwickeln, dass es der Maximierung der Kapitalrendite dient.
- Die Weltwirtschaftsleistung aller produzierten Waren beträgt 75’000 Mia. USD. Die Summe der spekulativen Finanzderivate beträgt 705’000 Mia USD, ist also 10x höher. Dies birgt ein grosses Risiko an Instabilität. Abgesehen davon zeigt es, dass sich wenige Player auf Kosten der grossen Allgemeinheit bereichern.
Aus den erwähnten Gründen wird von verschiedenen Zukunftsforschern ein neues Wirtschaftssystem gefordert bzw. die Abkehr von der ungezügelten Marktwirtschaft,
- welche Immer mehr Rohstoffe verlangt
- welche bewirkt, dass Reiche reicher und Arme ärmer werden
- welche für den Freihandel eintritt, solange er nützt
- den freien Kapitalmarkt für das Verstecken von Geld nutzt.
Der Club of Rome fordert eine Reform des Finanzsektors, u.a. mit
- Schuldenbremse
- Besteuerung des Finanzhandels
- Transparenz im Derivatenmarkt (z.B. Prüfung der spekulativen Geschäfte)
sowie eine Reform des Wirtschaftssystems, in welchem
- die Ökologische Wende rentabler wird (z.B. Einflussnahme mittels Steuern)
- die Firmen ermutigt werden, das konventionelle Gewinnmaximierungsprinzip in eine Gemeinwohlwirtschaft umzuwandeln.
Der Ruf nach einer Balance zwischen den 3 Säulen der Nachhaltigkeit wird lauter, d.h. die Balance zwischen Ökonomie (Ressourcen, Life-Cycle-Aspekte), Ökologie (Umwelt, Klima) und soziale Aspekte (Sicherheit, Gesundheit, Mobilität usw.).
Für die Lösung von Herausforderungen, welche die ganze Welt betreffen, braucht es länderübergreifende Rechtsvorschriften. Derzeitig gibt es solche im Seevölkerrecht und in der Welthandelsorganisation (WTO). Zudem gibt es UN-Konventionen zum Klima und zur Biodiversität. Beim Widerstand eines Landes ist die Durchsetzung heutzutage allerdings schwierig, da die entsprechenden Durchsetzungsmittel fehlen.
Fazit
Gemäss dem Club of Rome gibt es Grund genug zur Annahme, dass die mit Megatrends verbundenen Herausforderungen von der Menschheit gemeistert werden.
Was kann der Einzelne tun, um sich auf disruptive Technologien und Veränderungen vorzubereiten? Meine Empfehlung ist:
- Interessiert bleiben für das, was um einen geschieht
- Verschiedene Informationsquellen konsultieren
- Offen sein für Neues, flexibel bleiben bis ins hohe Alter
- Sich nach Möglichkeit ökologisch verhalten.
Literaturverzeichnis:
Hansen, Jens: Zukunft Digitalisierung – Der Wettlauf zum Weltbetriebssystem. Verlag Nova Md, 2018.
Harari, Yuval Noah: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. Verlag C.H. Beck, 2018
Yogeshwar, Ranga: Nächste Ausfahrt Zukunft. Geschichten aus einer Welt im Wandel. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2019
Von Weizäcker, Ernst Ulrich, und andere: Wir sind dran, Bericht des Club of Rome, Verlag Random House, 2017